Ein Bücher-Tagebuch, Buchbesprechung aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Die Zeitung, 1979
darin: Ein literarisches Requiem Hans Werner Richters "Die Flucht nach Abanon"
Walter Hinck: Germanistik als Literaturkritik, Suhrkamp, 1983
Jahresring: ein Schnitt durch Literatur und Kunst der Gegenwart, Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie, Deutsche Verlags-Anstalt, 1984
Petra Ernst: Neues Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartliteratur nach 1945, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1993
Hans Werner Richter von Barbara König, Hanser, 1997
Neue deutsche Literatur, Band 47, Deutscher Schriftsteller-Verband, Aufbau-Verlag, 1999
Es sind alles Geschichten aus meinem Leben, Hans Werner Richter als Erzähler und Zeitzeuge, Netzwerker und Autor, Erich Schmidt Verlag, 2011
Axel von Ambesser: Nimm einen Namen mit A, Ullstein, 1985, S. 241, 315, 330
Arnold Littmann: Die deutschen Sprechplatten, M. Hueber Verlag, 1963
Thilo Koch: Zwischentöne ein Skizzen-Buch, Ullstein, 1963, S. 161
Frauen.Biographieforschung, fembio.org (Internet)
Oskar Werner Abgründe eines Giganten von Robert Dachs, Braumüller Lesethek (November 2010)
Buchtitel unbekannt:
Hörspiel und Hörbuch. Literatur als Performance
von Peter Klotz
Erich Schmidt Verlag, 2022
S. 170-172
5.5 Adaptionen dramatischer Literatur
Eine besondere Affinität zum Hörspiel hat, wie ein genaues und genießendes
Hinhören ergeben kann, Georg Büchners Lustspiel Leonce und Lena. Diese Affi-
nität kann man darin sehen, dass diese Komödie vor allem ein Wortspiel ist, das
mit Stimmungen spielt, der Melancholie und der Liebe vor allem, das in geradezu
kabaretthafter Weise seine Kritik an den deutschen Duodezfürsten des frühen
19. Jahrhunderts ausagiert, das mit Zitaten und Prätexten fast im Übermaß spielt
(siehe auch Greiner 2009, 81 ff.; vor allem der Abschnitt „Die Komödie als Wort-
Hinhören ergeben kann, Georg Büchners Lustspiel Leonce und Lena. Diese Affi-
nität kann man darin sehen, dass diese Komödie vor allem ein Wortspiel ist, das
mit Stimmungen spielt, der Melancholie und der Liebe vor allem, das in geradezu
kabaretthafter Weise seine Kritik an den deutschen Duodezfürsten des frühen
19. Jahrhunderts ausagiert, das mit Zitaten und Prätexten fast im Übermaß spielt
(siehe auch Greiner 2009, 81 ff.; vor allem der Abschnitt „Die Komödie als Wort-
Spiel: Scherz, Satire, Ironie und Zitat“) und dabei einen geradezu existenzphilo-
sophischen Grundzug hat. Diese Komödie ist Spiel, von welcher Seite man sie
auch betrachtet, und auf der Bühne hat das Stück eine Vielzahl inszenatorischer
Übertreibungen erfahren. Das war und ist im Hörspiel kaum so zu machen, und
so hat Gert Westphal als Regisseur einen Inszenierungsweg gewählt, der das
Spielerische und das zu Spielende selbst in Szene setzt. Westphal verzichtet ganz
darauf, für Szenen Geräuschkulissen zu entwickeln, aber er schafft eine eigene
Atmosphäre, indem er die Szenen durch eine Art musikalischer Geräusche eben-
so voneinander abgrenzt wie miteinander verbindet, ohne dass dafür bestehende
Kompositionen herangezogen oder zitiert würden. Gerade dadurch werden die
Stimmen zu eigenen „Tonträgern“ des Textes, die für sich ebenso stehen wie für
ihren karikierenden, sinnspielerischen Text. Ausgespielt wird ebenso ein offiziel-
ler wie ein naher, intimer, oft reflexiver Ton, und diese Wechsel schaffen gewis-
sermaßen eine äußere und innere Räumlichkeit. Das Hörspiel wird so zu einem
Stimmen- und Stimmlagenspiel, das die Sprache selbst zu einem tönenden Spiel-
feld macht für Assoziationen, Ungereimtheiten und fast philosophische Einsich-
ten, die aber dann doch keine sind.
sophischen Grundzug hat. Diese Komödie ist Spiel, von welcher Seite man sie
auch betrachtet, und auf der Bühne hat das Stück eine Vielzahl inszenatorischer
Übertreibungen erfahren. Das war und ist im Hörspiel kaum so zu machen, und
so hat Gert Westphal als Regisseur einen Inszenierungsweg gewählt, der das
Spielerische und das zu Spielende selbst in Szene setzt. Westphal verzichtet ganz
darauf, für Szenen Geräuschkulissen zu entwickeln, aber er schafft eine eigene
Atmosphäre, indem er die Szenen durch eine Art musikalischer Geräusche eben-
so voneinander abgrenzt wie miteinander verbindet, ohne dass dafür bestehende
Kompositionen herangezogen oder zitiert würden. Gerade dadurch werden die
Stimmen zu eigenen „Tonträgern“ des Textes, die für sich ebenso stehen wie für
ihren karikierenden, sinnspielerischen Text. Ausgespielt wird ebenso ein offiziel-
ler wie ein naher, intimer, oft reflexiver Ton, und diese Wechsel schaffen gewis-
sermaßen eine äußere und innere Räumlichkeit. Das Hörspiel wird so zu einem
Stimmen- und Stimmlagenspiel, das die Sprache selbst zu einem tönenden Spiel-
feld macht für Assoziationen, Ungereimtheiten und fast philosophische Einsich-
ten, die aber dann doch keine sind.
Nur zum Beispiel:
LEONCE allein, streckt sich auf der Bank aus: Die Bienen sitzen so träg an den Blu-
men, und der Sonnenschein liegt so faul auf dem Boden. Es krassiert ein entsetzli-
cher Müßiggang. – Müßiggang ist aller Laster Anfang. Was die Leute nicht alles aus
Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile. Sie ver-
lieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus
Langeweile und – und das ist der Humor davon – Alles mit wichtigsten Gesichtern,
ohne zu merken, warum, und meinen Gott weiß was dazu. Alle diese Helden. Diese
Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter sind im
Grunde nichts als raffinierte Müßiggänger. – Warum muss ich es gerade wissen? …
(Büchner: Leonce und Lena, Akt I, 1)
(Lena soll alsbald verheiratet werden; sie spricht mit ihrer Gouvernante:)
LENA: O Gott, ich könnte lieben, warum nicht? Man geht ja so einsam und tastet
nach einer Hand, die einen hielte, bis die Leichenfrau die Hände auseinandernähme
und sie Jedem über der Brust faltete. Aber warum schlägt man einen Nagel durch
zwei Hände, die sich nicht suchten? (Sie zieht einen Ring vom Finger.) Dieser Ring
sticht mich wie eine Natter.
(Büchner, ebda., Akt I, 4)
Dieses Stimmen- und Gedankenspiel setzt die Hörspielfassung in einer eigenen,
gewissermaßen schwingenden und schwebenden Weise frei, gerade weil die
Reduktion aufs Akustische die Sprache nicht mehr „zwingt“, nur Sinnträger zu
sein. Daraus ergibt sich ein tönendes Ganzes, das ganz besonders von Oskar
Werner und Gertrud Kückelmann geprägt wird. In der damaligen Produktions-
zeit waren diese Stimmen so beliebt, dass sie häufig fürs Hörspiel gewählt wur-
den und von sich aus eine bestimmte Poetizität vermittelten. Insbesondere
Oskar Werner vermag wie schon in der Ophül’schen Novelle (s. o.) so auch in
Leonce und Lena dem Stück einen, seinen ganz eigenen Ton zu geben. – Stück,
Stimmen, Musik und der sprachspielerische Text werden in dieser Hörspielpro-
duktion – es gab andere – ein ästhetisches und geistiges Ganzes, das eben nicht
nur bei dem „Sinn“ und den kritischen Absichten stehen bleibt, sondern Sprache
und Musik zu einem „Hörstrom“ so verbinden, dass etwas ganz Eigenes, ein eige-
nes „Kunst-Stück“ entstanden ist.
LEONCE allein, streckt sich auf der Bank aus: Die Bienen sitzen so träg an den Blu-
men, und der Sonnenschein liegt so faul auf dem Boden. Es krassiert ein entsetzli-
cher Müßiggang. – Müßiggang ist aller Laster Anfang. Was die Leute nicht alles aus
Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile. Sie ver-
lieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus
Langeweile und – und das ist der Humor davon – Alles mit wichtigsten Gesichtern,
ohne zu merken, warum, und meinen Gott weiß was dazu. Alle diese Helden. Diese
Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter sind im
Grunde nichts als raffinierte Müßiggänger. – Warum muss ich es gerade wissen? …
(Büchner: Leonce und Lena, Akt I, 1)
(Lena soll alsbald verheiratet werden; sie spricht mit ihrer Gouvernante:)
LENA: O Gott, ich könnte lieben, warum nicht? Man geht ja so einsam und tastet
nach einer Hand, die einen hielte, bis die Leichenfrau die Hände auseinandernähme
und sie Jedem über der Brust faltete. Aber warum schlägt man einen Nagel durch
zwei Hände, die sich nicht suchten? (Sie zieht einen Ring vom Finger.) Dieser Ring
sticht mich wie eine Natter.
(Büchner, ebda., Akt I, 4)
Dieses Stimmen- und Gedankenspiel setzt die Hörspielfassung in einer eigenen,
gewissermaßen schwingenden und schwebenden Weise frei, gerade weil die
Reduktion aufs Akustische die Sprache nicht mehr „zwingt“, nur Sinnträger zu
sein. Daraus ergibt sich ein tönendes Ganzes, das ganz besonders von Oskar
Werner und Gertrud Kückelmann geprägt wird. In der damaligen Produktions-
zeit waren diese Stimmen so beliebt, dass sie häufig fürs Hörspiel gewählt wur-
den und von sich aus eine bestimmte Poetizität vermittelten. Insbesondere
Oskar Werner vermag wie schon in der Ophül’schen Novelle (s. o.) so auch in
Leonce und Lena dem Stück einen, seinen ganz eigenen Ton zu geben. – Stück,
Stimmen, Musik und der sprachspielerische Text werden in dieser Hörspielpro-
duktion – es gab andere – ein ästhetisches und geistiges Ganzes, das eben nicht
nur bei dem „Sinn“ und den kritischen Absichten stehen bleibt, sondern Sprache
und Musik zu einem „Hörstrom“ so verbinden, dass etwas ganz Eigenes, ein eige-
nes „Kunst-Stück“ entstanden ist.